Zwei Juristen, drei Meinungen, sagt man. In einem sind sich die meisten Juristen aber einig: Kündigungen sollten nie als Übergabe-Einschreiben versendet, sondern besser von einem Boten übergeben oder per Einwurf-Einschreiben versendet werden. Denn bei einer Kündigung kommt es darauf an, wann sie zugegangen ist. Und diesen Zeitpunkt möchte der Arbeitgeber selbst bestimmen. Geht eine Kündigung nämlich erst einen Tag später zu, kann es sein, dass der Arbeitgeber eine Frist nicht einhält und die Kündigung erst ein paar Monate später gilt oder im schlimmsten Fall (praktisch) gar nicht mehr möglich ist.
Wann gehen Schreiben zu?
Allgemein sagt man, dass Erklärungen wie zum Beispiel ein Kündigungsschreiben zugehen, „wenn sie dergestalt in den Machtbereich bzw. die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist, dass es nur noch an ihm liegt, von ihr Kenntnis zu nehmen und mit seiner Kenntnisnahme unter normalen Umständen gerechnet werden kann.“ Was die Bundesgerichte mit dieser Formel so kompliziert beschrieben haben, ist in 95 % der Fälle recht einfach: Wird eine Kündigung in den Haus- oder Wohnungsbriefkasten des Angestellten gesteckt, ist sie zugegangen. Wie man an der Zahl der Entscheidungen hierzu sieht, ist die Sache aber nicht so einfach. Gehört der Briefkasten tatsächlich zum Machtbereich des Empfängers? Was sind diese „normalen Umstände“?
Bei einem Einwurf-Einschreiben wirft der Postbote das Einschreiben wie einen normalen Brief in den Hausbriefkasten und notiert sich den Zeitpunkt. Der Empfänger kann also den Zugang nicht mehr verhindern. Viele Arbeitgeber und auch manche Juristen meinen, dass bereits in diesem Moment der Zugang erfolgt ist. Denn der Brief liegt ja im persönlichen Briefkasten des Mitarbeiters.
Und tatsächlich kommt es auch nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt der Empfänger das Einschreiben aus dem Briefkasten nimmt und liest. Es kommt vielmehr darauf an, wann er „unter normalen Umständen“ seinen Briefkasten leert. Ein Einschreiben, das im Briefkasten liegen bleibt, weil der Empfänger nicht in den Briefkasten guckt, geht also dennoch zu.
Das Bundesarbeitsgericht musste nun entscheiden, wie denn diese „normalen Umstände“ aussehen. Wann leert man normalerweise seinen Briefkasten? Und wann muss nicht mehr damit gerechnet werden, dass Post kommt?
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20. Juni 2024
In diesem aktuellen Fall stritten die Parteien nicht darüber, ob die Kündigung in den Briefkasten geworfen wurde. Sie stritten nicht einmal darüber, an welchem Tag sie in den Briefkasten geworfen wurde. Es ging tatsächlich um die Uhrzeit, wann der Postbote das Einwurf-Einschreiben in den Briefkasten geworfen hat.
Der Arbeitgeber hatte mit der Kündigung wahrscheinlich bis zum letzten Moment gewartet. Sie musste bis zum 30. September 2021 zugehen, damit er zum 31. Dezember kündigen konnte. Und der Postbote warf das Einschreiben auch am 30. September in den Briefkasten. Der Anwalt des Arbeitnehmers meinte aber, dass das Schreiben erst am 1. Oktober zugegangen sei und deshalb das Arbeitsverhältnis erst zum 31. März 2022 endete. Der Arbeitgeber habe nicht rechtzeitig gekündigt. Offenbar hatte der Postbote nicht notiert, zu welcher Uhrzeit er am Briefkasten war. Deshalb trug der Arbeitnehmer vor, dass die Kündigung nicht zu der Zeit im Briefkasten war, zu der er normalerweise mit Post rechnet, sondern vermutlich später.
Vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht hatte der Arbeitnehmer bereits verloren. Auch das Bundesarbeitsgericht folgte der Argumentation des Arbeitnehmers nicht. Es stellte fest, dass man annehmen darf, dass der Postbote das Einwurf-Einschreiben zu der Zeit eingeworfen hat, zu der er üblicherweise die Post zustellt. Da der Arbeitnehmer nichts anderes vorgetragen hat, gelte der sogenannte Anscheinsbeweis, dass das Einschreiben zur üblichen Zeit zugegangen ist. Damit ist es bereits am 30. September zugegangen – selbst dann, wenn der Arbeitnehmer das Schreiben erst am 1. Oktober aus dem Briefkasten genommen haben sollte.
Kurz zusammengefasst
Ein Einwurf-Einschreiben geht zu, wenn es zu der Zeit, zu der normalerweise der Postbote Post einwirft, im Briefkasten ist. Macht der Postbote zum Beispiel für das Einschreiben eine zweite Tour, geht das Schreiben im Zweifelsfall erst am nächsten Tag zu.
Für ein Schreiben, das ein Bote in den Briefkasten legt, gilt: Das Schreiben geht in dem Augenblick zu, in dem es vom Boten in den Briefkasten eingeworfen oder dem Adressaten persönlich übergeben wird. Wird es aber zu einer späten Tageszeit eingeworfen, geht das Schreiben im Zweifelsfall erst am nächsten Tag zu.
Ein Übergabe-Einschreiben geht erst dann zu, wenn es tatsächlich ausgehändigt wird. Das kann im Extremfall nie sein.
Wenn es möglich ist, sollte man nicht den letzten Zeitpunkt abwarten. Denn dann kann es sein, dass man zu spät gekündigt hat.
Und: Bei einer Zustellung durch Boten sollte man eine Person als Boten auswählen, die später als Zeuge für den Zugang des Schreibens in Frage kommt. Deswegen sollten nahe Angehörige des Betriebsinhabers und Personen, die zur Geschäftsleitung gehören, nicht als Boten gewählt werden. Und: Das Kündigungsschreiben sollte in Gegenwart des Boten in den Briefumschlag eingelegt werden, mit dem das Schreiben befördert werden soll, der Bote anschließend beauftragt werden, das Schreiben in den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers einzuwerfen und anschließend ein Vermerk über die Zustellung gefertigt werden und vom Boten abgezeichnet und zu den Personalunterlagen genommen werden. Einen entsprechenden Mustervermerk, den Sie hierfür verwenden können, finden Sie hier.
Zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts: https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2-azr-213-23/
Nie per Übergabe-Einschreiben kündigen!
Vor Übergabe-Einschreiben wird allgemein dringend abgeraten. Hier erfährt der Empfänger nämlich in der Regel nur davon, dass er ein Einschreiben abholen soll. Den Inhalt, also die Kündigung selbst, erhält er aber erst, wenn er das Einschreiben abholt. Und wenn er mit einer Kündigung rechnet, wird er das Einschreiben nicht oder erst nach Fristablauf bei der Post abholen.
Wenn man dem Arbeitnehmer das Schreiben persönlich übergibt
Erfolgt die Kündigung in einem persönlichen Gespräch und will der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Kündigung persönlich übergeben, stellt sich manchmal die Frage, welche Folgen es hat, wenn der Arbeitnehmer das Schreiben nicht annimmt. Auch hier gilt: Sobald das Schreiben in den Machtbereich bzw. die tatsächliche Verfügungsgewalt des Arbeitnehmers gelangt, ist es zugegangen. Lässt er einen verschlossenen Umschlag direkt vor sich auf dem Tisch liegen, verhindert der Mitarbeiter dadurch nicht den Zugang. Selbstverständlich sollte man nach einer solchen Situation ein Protokoll über das Gespräch erstellen. Und am besten ist es ohnehin, wenn man einen möglichst unabhängigen und glaubwürdigen Zeugen dabei hat (also nicht die Ehefrau des Arbeitgebers oder den Auszubildenden, der bereits dreimal abgemahnt wurde und selbst kurz vor der Kündigung steht).
Stand: 20. August 2024