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Meldungen Arbeits- und Sozialrecht

Arbeits- und Sozialrecht

Ein bisschen Arztkontakt muss sein

Einem Arbeitnehmer steht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu, wenn er sich ohne zumindest telefonischen Kontakt zu einem Arzt über ein Online-Portal krankschreiben lässt. Das hat das Arbeitsgericht Berlin entschieden.  

In dem entschiedenen Fall legte ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine von einer Gynäkologin unterzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Mag sein, dass den Arbeitgeber das bereits zum Überlegen brachte. Besonders stach aber auch die Tatsache ins Auge, dass die Gynäkologin in Hamburg praktizierte, obwohl der Arbeitnehmer in Berlin lebte. 

Der Arbeitnehmer ließ sich online krankschreiben 

Bei seinen Nachforschungen stellte der Arbeitgeber fest, dass die Gynäkologin die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers anhand der vom diesem online auf einem speziellen Portal gemachten Angaben bescheinigte. Gesehen hatte sie den Arbeitnehmer nicht. Sie hatte auch nicht mit ihm gesprochen, weder persönlich noch telefonisch. Es hatte überhaupt keinen persönlichen Kontakt zwischen dem Arbeitnehmer und der Ärztin gegeben.  

Die Website ermöglichte gegen Zahlung einer Gebühr von 14 € den Erhalt einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als PDF. Das geschah ausschließlich im Wege der Fernbehandlung. Über die Website gelangte man „in 3 Schritten zur AU“:  

Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in drei Schritten 

Zuerst war ein Fragebogen zu beantworten. In diesem konnte man Beginn und Dauer der Arbeitsunfähigkeit für bis zu sieben Tage selbst festlegen. Im nächsten Schritt sollte ein Privatarzt in Hamburg eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per PDF ohne Arztgespräch erstellen. Bei bestimmten Erkrankungen bestand die Möglichkeit, einen Kassenarzt zu wählen, der dann erforderlichenfalls anruft oder per SMS zum Video-Chat einlädt. Im dritten Schritt sollte der Arbeitnehmer dann eine E-Mail mit SMS-Code erhalten, um alle Versionen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als PDF-Dateien herunterzuladen. Optional bestand die Möglichkeit, die Arbeitsunfähigkeit auch sofort per Post zu erhalten. 

Die Nutzer konnten zwischen zwölf Grunderkrankungen wählen 

Die Nutzer der Website wurden aufgefordert, zunächst eine von zwölf Grunderkrankungen auszuwählen. Anschließend mussten sie verschiedene, vorformulierte Fragen beantworten. Die einzelnen Antwortmöglichkeiten und Symptome wurden dem Nutzer zur Auswahl vorgegeben. Die ärztliche Anamnese beruhte ausschließlich auf den Antworten des Nutzers auf die vorformulierten Fragen. Führten die Antworten des Nutzers zu keiner plausiblen Diagnose, erhielt der Nutzer mittels einer automatisch generierten Erklärung den Hinweis, dass er den Dienst nicht nutzen könne. 

Der Dienst stand uneingeschränkt wiederholt zur Verfügung 

Ein Problem war das aber nicht, denn es bestand die Möglichkeit, mit der gesamten Prozedur wieder von vorne zu beginnen. Die Antworten aus dem vorherigen Versuch fanden in keiner Weise Berücksichtigung. Der Vorgang konnte beliebige Male wiederholt werden. 

Der Arbeitnehmer meldete sich auf diese Weise bei seinem Arbeitgeber für mehrere Tage krank. Der Arbeitgeber lehnte die Entgeltfortzahlung jedoch mit der Begründung ab, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien nur durch einen Online-Arzt erfolgt. Er zweifle daher daran, dass der Arbeitnehmer wirklich arbeitsunfähig war. 

Später bot der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft wieder an 

Tage später bot der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft wieder an. Das passte dann dem Arbeitgeber nicht mehr. Er wies den Arbeitnehmer darauf hin, er habe die ursprünglich für den Arbeitnehmer vorgesehenen Arbeiten schon einem anderen Mitarbeiter übertragen. Geld zahlte der Arbeitgeber weiter nicht. 

Verfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin  

Mit seiner Klage beim Arbeitsgericht Berlin wollte der Arbeitnehmer erreichen, während der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung zu bekommen. Des Weiteren wollte er ab dem Tag, an dem er seine Arbeitskraft wieder angeboten hatte, seinen Lohn erhalten. 

Der Arbeitnehmer hatte starken Schnupfen 

Für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit behauptete der Arbeitnehmer, er habe an starkem Schnupfen und Kopfschmerzen gelitten und sich schwach gefühlt. Wegen der Ansteckungsgefahr durch Corona und weil er seine Symptome auf eine normale Erkältung zurückgeführt habe, habe er auf einen Arztbesuch verzichtet. 

Der Arbeitgeber hielt ihm entgegen, noch wenige Tage zuvor sei es ihm nach einem Arbeitsunfall noch möglich gewesen, einen Arzt aufzusuchen. Sein Verhalten sei widersprüchlich und an der Arbeitsunfähigkeit bestünden nach wie vor Zweifel. Der Beweiswert der vom Arbeitnehmer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert, da sie online ausgestellt wurden und keine ärztliche Untersuchung des Arbeitnehmers vorausging.  

Die Arbeitsunfähigkeit muss bewiesen sein 

Das Arbeitsgericht wies die Klage des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung ab. Es führte aus, der Arbeitnehmer müsse seine Arbeitsunfähigkeit beweisen, um Entgeltfortzahlung zu erhalten. Dies geschehe in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Einen solchen Beweis könne der Arbeitnehmer jedoch auch mit jedem anderen zulässigen Beweismittel führen, so das Arbeitsgericht.

Einer "ordnungsgemäß ausgestellten" Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung komme im Rahmen der Beweiswürdigung ein hoher Beweiswert zu. Mit ihr bestehe die Vermutung, dass der Arbeitnehmer infolge Krankheit arbeitsunfähig war. Von einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung könne aber nicht mehr ausgegangen werden, wenn der Ausstellung keine Untersuchung vorausgegangen sei. Dazu bedürfe es eines Arztkontaktes. 

Der Arbeitnehmer hatte keinen Arztkontakt 

Den habe es beim Arbeitnehmer aber nicht gegeben. Deshalb beweise die vom Arbeitnehmer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auch nicht, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war. Die Ärztin habe den Arbeitnehmer nachweislich weder persönlich untersucht, noch ein persönliches oder telefonisches Gespräch mit ihm geführt. 

Etwas anderes, so das Arbeitsgericht, ergebe sich auch nicht vor dem Hintergrund der derzeitigen COVID-19-Pandemie. Während der COVID-19-Pandemie wurden zwar Erleichterungen bei Krankmeldungen eingeführt: Zur Eindämmung der Pandemie habe ein öffentliches Interesse daran bestanden, Arztbesuche möglichst zu vermeiden. Deshalb war es vorübergehend zulässig, dass eine Ausnahme vom Erfordernis der unmittelbar persönlichen ärztlichen Untersuchung geschaffen wurde. Ärzte dürfen danach Versicherte mit Erkrankungen der oberen Atemwege, die keine schwere Symptomatik vorwiesen, für einen Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen auch nach telefonischer Anamnese krankschreiben; des Weiteren können Ärzte eine Folgebescheinigung der Arbeitsunfähigkeit für weitere 7 Kalendertage telefonisch ausstellen. Diese Regelung gilt noch bis zum 30.6.2021.  

Ärzte müssen sich eine persönliche Überzeugung schaffen 

Ärzte hätten aber die Pflicht, sich eine eigene persönliche Überzeugung zu verschaffen, indem sie den Patienten eingehend telefonisch befragen. Die Möglichkeit der telefonischen Anamnese sei eine Maßnahme der Risikoreduzierung in einer Ausnahmesituation während der COVID-19-Pandemie. Aber selbst da sei ein persönlicher Kontakt erforderlich. Dieser dürfe nicht geringer sein, als wenigstens ein Telefonat.  

Dieses habe es bei dem klagenden Arbeitnehmer jedoch nicht gegeben. Die Website habe Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen alleine aufgrund einer Online-Befragung erteilt. 

Der Arbeitnehmer konnte seine Arbeitsunfähigkeit nicht beweisen 

Das Gericht sprach den vom Arbeitnehmer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen deshalb keinen Beweiswert zu. Der Arbeitnehmer habe im Verfahren auch keine Personen genannt, mit deren Aussage er eine Arbeitsunfähigkeit belegen könne. Entgeltfortzahlung stand ihm deshalb nicht zu. 

 Das Gericht verurteilte den Arbeitgeber allerdings zur Nachzahlung von Lohn ab dem Zeitpunkt, ab dem der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft wieder angeboten hatte. Er hätte den Arbeitnehmer ab diesem Tag wieder beschäftigen müssen. Das habe er nicht getan. Dadurch sei er in Annahmeverzug geraten. Aufgrund dessen müsse er den Lohn ab diesem Tag nachzahlen, auch ohne den Arbeitnehmer zur Arbeit herangezogen zu haben. 

Quellen: Ein bisschen Arztkontakt muss sein - DGB Rechtsschutz GmbH 

Stand: 11.06.2021